Was, du alte Wand, willst du mir sagen? Dieser Gedanke schiesst mir ab und an durch den Kopf, wenn beim Umbau uralter Gebäude Details zutage treten, die überraschen. Manchmal sind es Spuren eines Brandes. Manchmal alte Inschriften oder Kritzeleien. In diesem Fall in Bellwald waren es Teile einer Tapete, die unter mehreren Schichten plötzlich in ein paar Fetzen an der fast schon schwarzen Wand hingen.
Tapeten in einem alten Walliser Haus? Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern geradezu eine Rarität. Denn woher sollte in einem alten Walliser Bauernhaus eine Tapete kommen, die vor 150 oder 200 Jahren dort hingeklebt worden war? Wie ist der Hausbesitzer an diese Rarität rangekommen? Wo hätte er sowas vor 200 Jahren erstehen können?
Denn den Tapezierer oder Maler „um die Ecke“ hat man damals im Oberwallis vergebens gesucht. Ganz abgesehen davon, dass für solchen „Chichi“ wohl kaum Geld zur Verfügung stand. Der einzige Ort, an dem damals Tapeten verwendet wurden, waren um 1850 herum die ersten Hotels, die in der Gegend entstanden. Das Ofenhorn im Binntal, das Jungfrau auf Kühboden, das Glacier du Rhône und das Bellevue in Gletsch – hier vergnügte sich die vornehmlich englische „haute volée“ zwischen Seidenvorhängen, leder- und samtbezogenen Möbeln und eben tapezierten Wänden.
War der Hausbesitzer beim Bau dieser Häuser beteiligt? Hatte er Gefallen an Tapeten gewonnen? Wurde ihm ein Stück aus Dankbarkeit geschenkt? Oder hatte er ein paar „Abfälle“ still und heimlich abgezweigt, um seinem Heim ein wenig Glanz zu verleihen oder einfach den Wind daran zu hindern, durch die Ritzen zu blasen?
Antworten auf diese Fragen werden sich wohl kaum finden lassen. Doch eines weiss ich gewiss: Es lohnt sich ab und an beim Abriss alter Innenausstattungen etwas genauer hinzuschauen, um sich damit einen Einblick in vergangene Zeiten und vielleicht in die Träumereien und Hoffnungen der damaligen Bewohner zu erhaschen.
Denn solange ist es nicht her in unserer Gegend, als noch kleine Dinge Luxus bedeuteten. Als man an scheinbar Geringem Gefallen fand. Als man sich mit Nichtigkeiten an das noble Leben anderer herantasten wollte. Als man sich mit einer simplen Tapete den Traum von einem besseren weil weniger hartem Leben in die eigenen vier Wände holte.
Wenn Sie also nächstens einen Umbau Ihres alten Walliser Hauses planen: Schauen Sie genau hin. Denn mit Garantie verstecken sich dort viele Geschichten wie diese, die Respekt statt Kettensäge verlangen.
Ihr Sch-Reini