Eine «unmöbliche Geschichte» von Niklaus Epp, welche er im Rahmen der VSSM Aktion 2005 geschrieben hat:
Die Bassgeige
Albert, der Dorftrottel, steht mit den Teilen seiner kaputten Bassgeige in unserer Werkstatt.
«Grosser Gott!», sagt mein Vater. «Was hast du da vollbracht?»
Albert stiert auf den Boden. Er schämt sich.
Vater schüttelt den Kopf. «Die kann ich nicht mehr flicken», sagt er. «Ich bin kein Geigenbauer.»
Albert hebt seinen Blick, schaut wie unser Hund, wenn er bettelt.
«Aber du bist Schreiner!» «Eine Bassgeige ist kein Möbel», erwidert Vater.
Da dreht sich Albert um, legt die Teile auf die alte Hobelbank und trottet, als wäre er taub, aus der Werkstatt.
Ich renne ihm bis zur Hausecke nach. Albert geht Richtung Dorf. Ohne Bassgeige ist er nur der halbe Albert. Er wird stetig kleiner, schliesslich frisst ihn die Nacht.
Albert ist der beste Bassgeigenspieler im Dorf. Aber manchmal dreht er durch. In der Wut hat er seine Bassgeige zerschlagen.
Das kaputte Instrument bleibt liegen. Eines Abends aber sehe ich, wie Vater Teile der Bassgeige in den Händen dreht.
«Reparieren unmöglich», sagt er. «Unmöglich!»
Ich hüpfe die Treppe hinauf. In mir die Gewissheit: Wenn etwas unmöglich ist, dann macht es Vater trotzdem möglich.
Vater schafft es. Die einen Teile ersetzt er, die noch brauchbaren leimt er so zusammen, dass man die Bruchstellen kaum mehr sieht.
An einem Novemberabend hält Albert seine geflickte Bassgeige in der Hand. Seine Augen leuchten. Wie Christbaumkugeln. Er streichelt das Instrument, zupft an den Saiten. Die Bassgeige jammert. Aber Albert lächelt. Er schraubt an den Flügelmuttern, spannt die Saiten. Das Jammern wird zu Klängen. Albert verdreht seine Augen. Mein Herz pocht. Die Klänge werden zur Melodie. Vaters Schuh wippt im Takt.
«Nächstens hebt Albert ab und fliegt mit seiner Bassgeige durch die Luft», denke ich.
Albert hört auf zu spielen. Dank strahlt aus seinen Augen. Er schultert das Instrument.
Vater und ich schauen ihm nach. Oben beim Kirchplatz blitzt das Licht der Strassenlaterne auf der Bassgeige auf.
«Unser Albert», sagt Vater. «Jetzt ist er wieder ganz.»
Über Niklaus Epp
Nick bezeichnet sich selbst als Schreiber und Werker.
Aus Holzresten zaubert er wahre Wunderwerke: Von Hasen über Vögel, von Zen Gärten über Bilder, bis zum perfekt verarbeiteten Bumerang – vieles, aussergewöhnliches entsteht in seiner Werkstatt.
Und natürlich schreibt er sehr gerne, vor allem Kurzgeschichten wie diese.
Mehr über die vielfältige Arbeit von Niklaus:
«Unmöbliche» Geschichten – der Schreiner Literatur Preis 2005
In 2005 startete die Aktion «unmöbliche Geschichten». Der Fantasie und Kreativität der Teilnehmer waren keine Grenzen gesetzt. Die tägliche Berührung mit Produkten vom Schreiner sollte Inspiration zu witzigen, schrägen, lustigen, schaurigen, poetischen, spannenden, seltsamen, liebevollen oder eben «unmöblichen Geschichten» sein.